Rede zum Tag der Befreiung am 8. Mai

An dieser Stelle dokumentieren wir den Redebeitrag des Utopia e.V. anlässlich der Feierlichkeiten in Frankfurt (Oder) zum 72. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Anwesende,

zunächst möchte ich mich bei den Veranstalter_innen bedanken, dass sie mir die Gelegenheit geben, heute hier sprechen zu können. Ich bin, wie erwähnt, Mitglied des Frankfurter Vereins Utopia. Wir leisten seit 1998 im Zeichen von Antifaschismus und Antirassismus Bildungs-, Kultur-, Jugend- und Beratungsarbeit.

Wir sind eine Gruppe von Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher sozialer Hintergründe, die sich Woche für Woche dafür einsetzen, diese Welt zu einer lebenswerteren zu machen. Damit sind wir mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Wir sehen uns selbst als Antifaschist_innen, die die Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus wach halten wollen. Den Aufstieg der AfD und die Verschiebung des Diskurses nach Rechts, der Anstieg rassistischer Gewalt, die Wahlerfolge von Trump, Erdogan, Le Pen und Putin, den Brexit, die wachsende EU-Skepsis zugunsten eines starken Nationalismus in Europa, den Krieg in Syrien und der Ukraine, betrachten auch wir mit Sorge. Ohne die unterschiedlichen Nuancen verwischen zu wollen, stehen diese Menschen, Ereignisse oder Schlagworte für eine Welt, die wir so nicht wollen. Sie bilden den großen Rahmen für unsere Politik, die wir auf dem Boden dieser Stadt praktizieren – wenn wir etwa über die Ideologie der Frankfurter AfD aufklären, Betroffene rechter Gewalt betreuen oder uns neonazistischen Aufmärschen in den Weg stellen.

Wir arbeiten mit mal mehr, mal weniger Ressourcen daran, die Welt gerechter, friedlicher, solidarischer zu machen. Doch in den letzten Jahren frage ich mich vermehrt: Wie wirksam ist das eigentlich? Worin liegen die Ursachen dafür, dass sich die Welt so zunehmend düster gestaltet?

Ich kann Ihnen – und auch mir selbst – hier leider nicht die umfassende Antwort auf diese Fragen liefern, und Ihnen – und mir – auch nicht den genauen Weg zu einer besseren Welt weisen. Das sage ich nicht, weil ich um eine Antwort verlegen bin, sondern weil ich glaube, dass unsere linken Antworten nicht einfach sind. Richtig sind sie zwar, aber nicht einfach.

Ich habe mich dazu entschieden, in der Kürze der Zeit zumindest zu versuchen, einige Erklärungsansätze zu formulieren.

In der hiesigen Debatte, in Gesprächen ebenso wie in den linken Medien, findet sich zu den Ursachen des erstarkenden Nationalismus und Rassismus doch einiges:

Sehr beliebt ist die Frage, ob wir als Linke (Partei oder Bewegung) eine falsche Politik gemacht haben. Haben wir – so die Erzählung beispielsweise in der Tageszeitung „Neues Deutschland“ – die Klasseninteressen der Unterschicht vernachlässigt und sie daher in die Arme rechter Parteien getrieben? Hat sich die radikale Linke zu stark einer Identitätspolitik gewidmet, die bei den Themen Rassismus und Sexismus eine politische Korrektheit einfordert, die „die da unten“ eher abschreckt? Die Unterschicht – so die Annahme – wähle rechte, faschistische Parteien, weil die Linke keine alternativen Angebote bereithielte. Anders gesagt: die Unterschicht artikuliere mit der Wahl rechter Parteien ein soziales und ökonomisches Bedürfnis.

Oder – eine andere These – liegt der Hang zu Rassismus und autoritärem Denken in der Bildungsferne begründet, wie es uns linksliberale Medien Glauben machen wollen? Müsste man die Menschen nur besser bilden und aufklären, damit sie aufhören, Nicht-Deutsche zu hassen?
Beide Positionen – es gibt sicherlich Zwischentöne, aber bleiben wir grob bei diesen beiden – gehen von falschen Annahmen aus, die ich im folgenden benennen werde:

Erstens wählt „die Unterschicht“ nicht in solcher Reinform rechte Parteien. Das Klientel bei AfD, Trump und Co. besteht natürlich auch aus ihnen, aber eben nicht zum überwiegenden Teil. Die gut Situierten bilden das Stammkapital dieser rechten Bewegungen. Die Unterschicht zieht ihre Konsequenzen aus der neoliberalen Politik der vergangenen Jahrzehnte eher darin, dass sie gar nicht wählen geht.

Zweitens ist es schon ein starkes Stück, jenen, die sich seit Jahren für die Belange der Entrechteten, sozial Deklassierten und Armen einsetzen, vorzuwerfen, dass sie sich nicht genügend den Belangen der unteren Schichten annehmen. Ob es sich nun um Geflüchteteninitiativen, um die Harzt-IV-Beratung oder linke Gewerkschafter_innen handelt– die Linke (die Partei ebenso wie dieBewegung) steht meiner Meinung nach als einzige für Solidarität mit den gesellschaftlich Diskriminierten und Gedemütigten ein. [1]

Drittens: Rassismus ist kein Problem der Dummen. Seit Jahr und Tag beten wir die Erkenntnisse der Heitmeyer-Studie herunter, nämlich dass faschistische Denkmuster (Rassismus, Hang zum autoritären Denken und Diskriminierung aller jenseits der sogenannten Normalität) überall in der Gesellschaft zu finden sind. Und nun sollen es plötzlich überall die Armen sein, die gegen Geflüchtete Stimmung machen?

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Es gibt Rassismus in der Unterschicht. Wer sich die Nazi-Demonstrationen der letzten Jahre in unserer Stadt angeschaut hat, weiß, wovon ich rede. In einer Stadt mit solch einer Armuts- und Arbeitslosenquote ist es aber nunmal so, dass Armut und Rassismus zusammenfallen und uns nicht ständig der Mittelständler mit faschistischem Weltbild über den Weg läuft.

Der Aufstieg der rechten Parteien hat meiner Meinung seine Ursachen in folgendem:

Erstens: Zu einem weiten Teil besteht das Wählerklientel der Rechten aus Menschen mit mittlerem Bildungsabschluss, Akademiker_innen, Unternehmer_innen und anderen Angehörigen der Mittel- und Oberschicht. Sie befürworten klar den neoliberalen Kurs der rechten Parteien, sie wählen bewusst jene, die ihre wirtschaftlichen Interessen schützen.

Zweitens: Zu einem weiteren Teil besteht das Wählerklientel aus den Abgehängten, aus jenen, denen der soziale Abstieg droht oder die zumindest glauben, dass ihnen dieser droht. Sie wählen rechts in der Aussicht auf Gehör, auch aus Protest oder weil die Linke für sie nicht wählbar ist. Die bis dato regierenden Parteien haben sich von einer Politik für die Unterschicht und untere Mittelschicht abgewendet. Sie vertreten – seit jeher oder seit einiger Zeit – neoliberale Positionen. Wer es nicht selbst schafft, aufzusteigen, ist selbst dran schuld, so die Botschaft an „die da unten“.

Drittens: Zu einem weiteren Teil besteht das Wählerklientel der Rechten aus jenen, die eine bewusste, mündige Wahl für den Faschismus treffen. Unabhängig von ihrem und manchmal sogar gegen ihren Klassenstandpunkt. Sie werden angezogen von dem propagierten Nationalismus, dem Rassismus, der völkischen Ausstrahlung, dem autoritären Stil, den dort vertretenen Verschwörungstheorien. Thomas Ebermann, Autor in der Zeitschrift Konkret, sprach kürzlich davon, dass es die systembedingte Verrohung ist, die Menschenfeindlichkeit hervorrufen kann. Er bezieht sich dabei auf die kritische Theorie und ihre Feststellung, dass der moderne Kapitalismus den Faschismus hervorbringt bzw. hervorbringen kann, unabhängig von der Klassenzugehörigkeit. [2]

Wenn man sich also das Wählerklientel rechter Parteien und Bewegungen anschauen, wird klar, dass sich Menschen für die faschistische Idee unterschiedlich mobilisieren lassen. Daher ist die Frage, wer die faschistische Trägerschicht ist, nicht leicht zu beantworten. Und offenbar lässt sich im Neoliberalismus ganz unterschiedlich für diese Ideologie Anhänger_innen gewinnen. (über die Gewinner, die Mittelschicht; über die Abgehängten, die Angst; unabhängig von den Klasseninteressen, über Rassismus).

Ich möchte nun versuchen, zwei Antworten auf die Frage zu finden: Was können wir als Linke tun, um den weiteren Aufstieg des Faschismus zu verhindern?

Wir müssen klare Kante zeigen gegen die AfD – sowohl weil sie nationalistisch und rassistisch ist, als auch, weil sie neoliberal ist. Dazu gehört auch, die sogenannten „Sorgen“ der Bürger_innen als rassistische Vorurteile zu benennen und zu ächten, anstatt sie mit einem eigenen „nationalen Denken“ einzufangen. Es kann mir niemand mehr ernstlich Glauben machen, die Geflüchteten seien Schuld an den schlimmen sozialen Zuständen!

Wir müssen es schaffen, den barbarischen Charakter des neoliberalen kapitalistischen Wirtschaftssystems offenzulegen und zu vermitteln. Dazu gehört auch, gegen den Klassismus der regierenden Parteien oder den offiziellen Medien Stellung zu beziehen. Ein System, das auf Konkurrenz setzt, und das letztlich auch die physische Ausschaltung des Gegenübers als Option enthält, kann für uns Linke keine Option sein. Wir müssen die weltweiten Ausbeutungsverhältnisse kritisieren und die Alternativen aufzeigen. Kapitalismus ist von Menschen gemacht, und kein in Stein gemeißeltes Prinzip. Daher müssen wir politische Visionen weiterentwickeln und den Menschen näher bringen. Diese Visionen müssen auf Prinzipien der Gleichheit, Gerechtigkeit, internationalen Solidarität und umfassenden Teilhabe beruhen. Unsere Prinzipien als Linke müssen dem antinationalen Humanismus dienen, denn dieser macht uns aus.

Dafür stehe ich gerade hier und heute, am Denkmal für die sowjetischen Soldatinnen und Soldaten, am Tag der Befreiung. Damit wir nicht vergessen, was passiert, wenn Faschismus zur Mehrheitsmeinung wird.

Vielen Dank.

[1] Vereinsintern besteht bei diesem Punkt keine Einigkeit – insbesondere, seitdem sich der Parteiflügel um Sahra Wagenknecht mit nationalen Parolen hervortut, oder weil es unter der rot-roten Brandenburger Landesregierung zu Abschiebungen, beispielsweise nach Afghanistan, kommt. Wir möchten daher betonen, dass es sich hierbei nicht um eine Wahlempfehlung für DIE LINKE handelt.
[2] Vgl. Thomas Ebermann, Die Nationale. Wie rechte Linke für die Rückkehr zu nationaler Souveränität und Kleinstaaterei in Europa werben, und Ders., Die nächste Barbarei. Haben Fehler und Versagen der Linken den Aufstieg der Rechten befördert?, in: konkret 3/2017 und 4/2017, S. 12-17 und S. 28-33.