Im Nachgang der Landtagswahlen in Brandenburg am 14. September gab der Geschäftsführer des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung in der Märkischen Oder-Zeitung eine Expertise zu den Ursachen der geringen Wahlbeteiligung von 47,9 Prozent, dem Wahlerfolg der „Alternative für Deutschland“ (AfD) und dem Umgang mit Geflüchteten im Land ab.[1] Dass das Institut zur Wahlanalyse von einem landesweiten Presseorgan als Expert_innenstelle herangezogen wird, ist zunächst nicht ungewöhnlich. Die Fehleinschätzung der derzeitigen politischen Landschaft Brandenburgs hingegen schon: Eklatant falsch waren die Darstellungen im Zusammenhang mit den Wahlerfolgen der AfD und dem Umgang mit geflüchteten Menschen in Brandenburg.
Das Problem
Dirk Wilking, Geschäftsführer des Instituts, schätzt die AfD zwar als nationalkonservative Partei ein, sieht aber keine Verknüpfung ihres Wahlerfolgs mit dem Diskurs um Kriminalität in der deutsch-polnischen Region. Dies geht an der Realität vorbei: Die AfD erlangte bei den Wahlen insgesamt 12,2 Prozent. In fast ganz Brandenburg lag sie bei über 10%, in der Grenzregion sogar höher – etwa in Oder-Spree (21,3%) und Frankfurt (Oder) (19,7%).
„Grenzkriminalität und Sicherheit“ waren die Themen, mit denen die AfD hauptsächlich ihren landesweiten Wahlkampf geführt hat. Sie sind in allen Regionen entlang der Grenze populär. Öffentliche oder in den sozialen Medien geführte polenfeindliche Debatten und auch die Existenz von sogenannten “Bürgerwehren” beispielsweise in den Städten Küstrin-Kietz, Neuzelle, Eisenhüttenstadt und Frankfurt (Oder) sollten Beweis genug dafür sein, dass die AfD diese Stimmung nutzen konnte und ihre Positionen gerade dort auf fruchtbaren Boden fielen.[2] Gideon Botsch von Moses-Mendelssohn-Institut Potsdam etwa charakterisierte die AfD treffend als nationalpopulistische Rechtspartei.[3]
Zudem formuliert Wilking die Annahme, dass Geflüchtete und deren Unterbringung in den Kommunen im Allgemeinen akzeptiert seien. Eine nähere Betrachtung der brandenburgischen Verhältnisse hätte ihn zu einem anderen Schluss kommen lassen müssen:
Die durch den Anstieg von Flüchtlingszahlen bedingte Neueinrichtung von Flüchtlingsunterkünften löste in vielen Kommunen eine Welle des Protests aus. Die allgemeine Stimmung gegenüber den Geflüchteten und ihren Unterstützer_innen war kritisch bis feindlich; in einigen Gegenden ging der Hass auf Geflüchtete so weit, dass es zu gewalttätigen Übergriffen und pogromähnlichen Stimmungen kam. So gab es im vergangenen Jahr beispielsweise in Premnitz einen Brandanschlag auf ein Asylsuchendenheim, und in Bestensee gingen 200 Menschen gegen ein Heim auf die Straße. Dass deshalb auch die AfD mit ihrer Forderung nach einem Einwanderungsstopp punkten konnte, ist kein Zufall.
Daneben sehen sich Geflüchtete sowohl einem alltäglichen als auch institutionellen Rassismus ausgesetzt, dem sich zwar bereits Initiativen und Einrichtungen entgegenstellen, der das Leben von Geflüchteten aber nach wie vor in höchstem Maße prägt. In Frankfurt (Oder) beispielsweise lud sich kürzlich die Stimmung gegen Geflüchtete innerhalb weniger Tage maßlos rassistisch auf, als in sozialen Netzwerken Gerüchte gestreut wurden, die einen Zusammenhang zwischen „Drogenkriminalität“ und Geflüchteten konstruierten.[4] Die AfD Frankfurt (Oder) unterstützte diese Hetze.
Wilking verharmlost die Positionen der AfD; ihm scheint nicht klar zu sein, dass es auch die genannten Reizthemen waren, die über 10% der Brandenburger_innen ansprachen. Bei diesen handelt es sich um klassische Themen der politischen Rechten – und sie werden gezielt von der AfD übernommen. Das Wahlergebnis der Partei als reinen Protest abzutun, verkennt das grundlegende Problem. Indem Wilking von einer allgemeinen Akzeptanz gegenüber Geflüchteten in den Kommunen spricht, bagatellisiert er die von einer rassistischen Grundstimmung geprägte Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Migrant_innen.
Die Folgen
Das Institut gilt im Land Brandenburg als wichtige Instanz in Sachen Neonazismus- und Demokratieberatung; die von ihren Mitarbeiter_innen abgegebenen Einschätzungen werden in der Öffentlichkeit, aber auch auf der Politik- und Verwaltungsebene des Landes wirkmächtig und sind als Expertise anerkannt. Die Fehleinschätzung des Geschäftsführers kann schwerwiegende Folgen für die Wahrnehmung der Problemfelder AfD, Alltagsrassismus und Diskriminierung von Migrant_innen haben. Eine seit Jahren seitens der Zivilgesellschaft betriebene Sensibilisierung zu dieser Thematik wird dadurch enorm erschwert. Zudem macht eine falsche Analyse adäquates Handeln unmöglich: Zum einen werden zuständige Landesstellen – darunter auch der Verfassungsschutz – falsch informiert und in ihren Maßnahmen fehlgeleitet, zum anderen wird das konkrete Engagement im zivilgesellschaftlichen Bereich gegen Ungleichheit und Rassismus häufiger infrage gestellt werden. Denn wo von der Landesstelle für Demokratie kein Problem gesehen wird, müssen sich zivilgesellschaftliche Akteure mit einer anderen Perspektive erst einmal behaupten.
Welche Konsequenzen gezogen werden müssen
Ob es sich bei der Analyse der Brandenburger Landtagswahlen durch Dirk Wilking um gewollte Schönfärberei, um eine Unterschätzung des Problems oder um Informationsprobleme aufgrund einer fehlenden kommunale Verankerung des Instituts handelt – in allen Fällen ist zu fragen, welchen Sinn eine solche vom Land genau für die angesprochenen Themenfelder eingerichtete Beratungsstelle erfüllt. Es bleibt zu hoffen, dass die Stelle abgeschafft oder anders besetzt wird. Denn so wie sie arbeitet, ist sie Teil des Problems und nicht Teil einer Lösung für das Rassismusproblem in Brandenburg.
[1] Vgl. Henning Kraudzun, „Die Dörfer kapseln sich ab“ – Demokratie-Experte Dirk Wilking im Interview, MOZ, 16.09.2014 (http://www.moz.de/themen/landtagswahl/artikelansicht/dg/0/1/1325725/)
[2] Vgl. Jeanette Bederke, Bürgerwehr gegen kriminelle Grenzgänger, MAZ, 11.04.2014 (http://www.maz-online.de/Brandenburg/Buergerwehr-gegen-kriminelle-Grenzgaenger); Christian Bangel, Die Angst geht auf Streife, Zeit Online, 12.05.2014 (http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-05/buergerwehr-in-deutschland/); Caterina Lobenstein, Brücke der Angst, DIE ZEIT Nº 38/2014, 11.11.2014 (http://www.zeit.de/2014/38/grenzkriminalitaet-brandenburg-landtagswahl).
[3] Alexander Fröhlich im Interview mit Gideon Botsch, „Die AfD ist eine nationalpopulistische Rechtspartei“, PNN, 16.09.2014, (http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/892684/).
[4]Vgl. DPA, Neonazi-Hetze gegen Asylbewerber, MOZ, 27.12.2013 (http://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/artikel-ansicht/dg/0/1/1229587/), Opferperspektive e.V. – Antidiskriminierungsberatung (http://www.antidiskriminierungsberatung-brandenburg.de/), Utopia e.V., Hetze gegen Asylsuchende nimmt bedrohliches Maß an, 28.08.2014 (http://utopiaffo.blogsport.de/2014/08/29/pm-hetze-gegen-asylsuchende-nimmt-bedrohliches-mass-an/).
Frankfurt (Oder), den 02.10.2014